Pimp your Doll: Sexuelle Selbstbestimmung für Menschen mit Behinderung

Pimp your Doll setzt sich für die sexuelle Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung ein. Wir haben mit den Gründern gesprochen.
Worum handelt es sich bei eurer Tätigkeit?
Die Inklusions-Brücke e.V. wurde ins Leben gerufen, um Menschen mit Beeinträchtigung und Behinderung in ihrer Freizeitgestaltung zu fördern und zu unterstützen. Unser Projekt PYD „PIMP YOUR DOLL“ setzt sich für die Inklusion, Prävention und das freie Ausleben der Geschlechtlichkeit von Menschen mit Behinderungen ein. Es bietet einen geschützten Raum, in dem Aufklärung und Sexualität ohne Bewertung, Beurteilung oder Diskriminierung erlebt werden können.
Wir haben festgestellt, dass viele Menschen mit Behinderungen oft nicht über genügend finanzielle Mittel verfügen, um unser Angebot in Anspruch zu nehmen, oder sie dürfen nicht frei über ihr Geld verfügen, obwohl es ihnen rechtlich zusteht. Daher erhebt unser Verein lediglich einen Mitgliedsbeitrag, um sicherzustellen, dass alle unsere Angebote kostenfrei sind. Gleichzeitig unterstützen wir das Projekt PYD, um es am Leben zu erhalten.
Sexualität und Behinderung sind zwei Themen, die große Spannungsfelder beinhalten, und deren Aufbrechung erfordert viel Zeit und Geduld. PYD kann sich derzeit noch nicht selbst erhalten, doch wir sind fest davon überzeugt, dass jeder Mensch das Recht auf eine selbstbestimmte Sexualität hat, während die Rechte anderer anerkannt werden. Dafür und für die notwendige, begleitende Beratung steht PIMP YOUR DOLL.
Wie seid du dazu gekommen es zu starten?
Unser Projekt entstand aus unseren beruflichen Erfahrungen als Fachbetreuer im psychsozialen Dienst, in der Gewaltprävention und in der persönlichen Assistenz. Wir haben erkannt, dass die Themen Sexualität und Aufklärung für Menschen mit Behinderungen oft tabuisiert und in vielen Einrichtungen und von Angehörigen ausgeklammert werden. Eine prägende Erfahrung von mir Jürgen Kirchgatterer, als ich einen Mann nach einem schweren Motorradunfall begleitete, verdeutlicht dies eindrucksvoll. Nach einer diskriminierenden Ablehnung in einem Etablissement, die zu einer langen Psychotherapie führte, wurde mir klar, wie dringend ein sicherer Raum für sexuelle Bedürfnisse und Aufklärung benötigt wird.
Silke Mairinger: Durch meine Töchter, die als diplomierte Behindertenbetreuerinnen arbeiten, habe ich aus erster Hand Einblicke in die Bedürfnisse und Herausforderungen von Menschen mit Behinderung erhalten. Ich bin fest davon überzeugt, dass das Thema Sexualität nicht ignoriert werden sollte, da es einen entscheidenden Einfluss auf die Lebensqualität und die Beziehung zwischen Betreuer:innen und Menschen mit Behinderungen hat. Diese Erlebnisse haben uns motiviert, PIMP YOUR DOLL ins Leben zu rufen, um Menschen mit Behinderungen einen diskriminierungsfreien Zugang zu Sexualität zu ermöglichen, und in der Folge den Verein Inklusions-Brücke e.V. zu gründen, der sich für die umfassende Unterstützung und Teilhabe dieser Menschen einsetzt.
Wie funktioniert PIMP YOUR DOLL?
PIMP YOUR DOLL ermöglicht es Menschen mit Beeinträchtigungen, selbstständig zu entscheiden, ob und wie sie ihre Sexualität leben möchten. Viele sind auf unsere Unterstützung angewiesen, um ihre Bedürfnisse zu verstehen, zu kommunizieren und auszuleben. In unserer Einrichtung in der Marktstraße 14, 4800 Attnang-Puchheim, bieten wir hochwertige, lebensechte Silikon/TPE-Realdolls in einem geschützten und barrierefreien Umfeld an.
In vier thematisch gestalteten Räumen – Moulin Rouge, Sex on the Beach, Pimp Your Doll und Into the Jungle – können unsere Besucher:innen in einer hygienischen und intimitätswahrenden Atmosphäre ihre Sexualität erkunden. Unsere Puppen kommen besonders gut an, weil sie nicht zurückweisen. Um ein realistisches Erlebnis zu schaffen, werden die Puppen mit einer Heizdecke auf Körpertemperatur gebracht und frisch mit Körperpuder eingerieben. Außer Acht lassen darf man nicht, dass Sexualität sehr breitgefächert ist und nicht nur den geschlechtlichen Akt beinhaltet. Es ist entscheidend, dass die Menschen ihren eigenen Körper, ihre Gefühle, Wünsche und ihre geschlechtliche Identität kennenlernen. Besonders wichtig ist, dass Sexualität nichts Verwerfliches ist, sondern ein natürliches Grundbedürfnis und etwas Wunderschönes.
Zusätzlich bieten wir maßgeschneiderte Aufklärungsarbeit, die individuell auf die Bedürfnisse der Teilnehmenden zugeschnitten ist. Unser selbst entwickeltes Skript behandelt Themen wie Berührungen, Geschlechtsverkehr, Pubertät und Verhütung, um ein besseres Verständnis für Sexualität zu fördern.
Darüber hinaus führen wir Einzelsettings zur Gewaltprävention durch, um zu zeigen, dass unterdrückte Sexualität die Aggression steigern kann. Unsere Beratung bietet Unterstützung und Ressourcen, um Konfliktsituationen frühzeitig zu erkennen und konstruktiv zu lösen. Sportliche Aktivitäten, kognitives Training und die Interaktion mit unseren Puppen können ebenfalls positive Effekte haben.
Was waren die größten Herausforderungen?
Die größten Herausforderungen, denen wir begegnen, sind vielschichtig. Zunächst war es essenziell, die Menschen darauf aufmerksam zu machen, dass auch Menschen mit Behinderungen das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung haben. Oft hören wir den einheitlichen Tenor: „Darüber habe ich mir noch nie Gedanken gemacht.“ Eine weitere Herausforderung besteht darin, diesem wichtigen Thema die Anrüchigkeit zu nehmen. Wenn wir die Möglichkeit haben, darüber zu sprechen, stoßen wir jedoch in der Regel auf Verständnis. Daher ist mediale Präsenz für unser Anliegen von großer Bedeutung. Viele sind überrascht zu erfahren, dass nur 3 % der Behinderungen angeboren sind – die restlichen 97 % entstehen durch Krankheit, Unfall oder Armut im Laufe des Lebens.
Die größte Herausforderung bleibt jedoch, die Menschen mit Behinderungen direkt zu erreichen. Verständnis allein reicht oft nicht aus, um ihnen die Möglichkeit zu geben, ihre Wünsche in die Tat umzusetzen. Dies scheitert häufig an mangelnden Personalressourcen oder dem fehlenden Gefühl der Verantwortung, Unterstützung zu bieten, oft auch aus Angst und Scham.
Was waren die schönsten Momente?
Die schönsten Momente sind und bleiben die, wenn die Menschen mit Bedarf freudig, aufgeregt und glücklich unsere Einrichtung verlassen. Es erfüllt uns mit Freude, Rückmeldungen zu erhalten, dass ihr Selbstwert und ihre Selbstakzeptanz steigen, während Aggressivität und Frustration abnehmen oder sogar ganz verschwinden. Oft sind wir ein Sprungbrett für reale geschlechtliche Erlebnisse, und es ist wunderbar zu sehen, wie sich eine entspannte Atmosphäre ausbreitet. Diese positiven Veränderungen machen uns glücklich und sind für uns der größte Erfolg – besonders, wenn die Menschen immer wieder zu uns kommen möchten.
Was sind die kommenden Ziele?
Unsere kommenden Ziele sind klar definiert. In erster Linie möchten wir mit dem Verein einen Transporter für unseren Hol- und Bringdienst organisieren. Damit wollen wir sicherstellen, dass Menschen mit Behinderungen, die die Dienstleistungen von PIMP YOUR DOLL in Anspruch nehmen möchten, dies auch trotz Personalmangel und Zeitdruck tun können. Ein weiteres Ziel ist die Eröffnung eines zusätzlichen Standorts in Österreich, entweder in Linz oder in der Steiermark, um unsere Reichweite zu erhöhen und noch mehr Menschen zu unterstützen.
Langfristig streben wir an, ein Modell für „Sex auf Rezept“ zu etablieren, ähnlich dem erfolgreichen Ansatz in den Niederlanden. Dort stellt der Staat Menschen mit Behinderungen und Pflegebedarf ein Kontingent an Sexualdienstleistungen zur Verfügung, was die Bedeutung der sexuellen Selbstbestimmung unterstreicht. Leider zeigt ein Bericht der Volksanwaltschaft, dass Österreich in der Umsetzung der UN-Behindertenkonventionen, insbesondere im Bereich der sexuellen Selbstbestimmung, noch erheblichen Nachholbedarf hat. Der Verein Inklusions-Brücke e.V. wird hierbei eine zentrale Rolle spielen, um diese Themen voranzutreiben und die Lebensqualität von Menschen mit Behinderungen nachhaltig zu verbessern.
Wo können Interessierte mehr über euch erfahren?
Interessierte können mehr über uns auf unserer Homepage erfahren. Außerdem sind wir aktiv auf unseren Social-Media-Kanälen, wie zum Beispiel auf Facebook und Instagram. Für direkte Anfragen stehen wir jederzeit per E-Mail unter office@pyd.at oder telefonisch zur Verfügung. Wir freuen uns über jede Kontaktaufnahme!
Lieber Jürgen, liebe Silke, danke für die berührenden Einblicke! Hat dir unser Beitrag gefallen? Dann melde dich für unseren Newsletter an, um informiert zu bleiben!
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